Texte und Gedanken

Kindern erzählt man Geschichten zum Einschlafen,
Erwachsenen, damit sie aufwachen.
Jorge Bucay, Argentinischer Autor, Psychiater und Gestalttherapeut

Meine Botschaft für das Jahr 2022

Das Jahr 2021 zeigte sich mir mit vielen gefühlsmäßigen Höhen und Tiefen. Immer wieder die Hoffnung, dass sich der Verlauf der Corona-Pandemie so enwickeln würde, dass wieder mehr Kontakt und Nähe, Austausch, gemeinsames Erleben und gemeinsames Weiterentwickeln möglich ist. Immer wieder gab es auch Möglichkeiten zu dieser gemeinsamen Entwicklung. Aber dann kam die nächste Phase, in der wieder Einschränkungen und Distanz nötig wurden. Und immer wieder regierte die Angst in der Bevölkerung. Es war für mich nicht einfach zu erleben, wie einige Menschen in meinem Umfeld resignierten und “nur noch ausführten”, was ihnen vorgeschrieben wurde. Andere wiederum gingen in den Widerstand und in die Aggression. Beides führte nicht dazu, dass es den Menschen besser ging.
Am meisten berührte mich, dass vor allem die Kinder wieder diejenigen waren, die diesem Geschehen ausgeliefert waren, ohne eine Chance, selbst etwas zu verändern.
Ich bin mir sicher, dass es nur EINEN WEG gibt und das ist der WEG DER LIEBE.

Am 24. Dezember 2021 hörte ich eine Geschichte, die weder etwas mit Weihnachten noch mit Corona zu hat, aber sie zeigt für mich die Macht der Liebe deutlich.

Die wahre Geschichte von Thomas Alva Edison

Eines Tages kam der kleine Thomas Edison von der Schule nach Hause und gab seiner Mutter eine Mitteilung seiner Lehrerin. Er sagte ihr: „Die Lehrerin hat gesagt, dass ich nur dir diesen Brief geben darf.“ 
Die Augen seiner Mutter waren von Tränen erfüllt, als sie ihm diesen Brief laut vorlas: „Ihr Sohn ist ein Genie. Diese Schule kann ihn nicht entsprechend fördern, da wir nicht genug gute Lehrer haben. Bitte unterrichten sie ihn ab jetzt selbst.“
Viele, viele Jahre später – seine Mutter war längst gestorben und Thomas, einer der größten Erfinder seines Jahrhunderts – kramte Thomas in alten Familiensachen. Plötzlich sah er in der Ecke einer Schreibtischschublade einen gefalteten Zettel. Es war diese bewusste Mitteilung seiner ehemaligen Lehrerin und er öffnete sie. In dem Brief stand: „Ihr Sohn ist geistig unterbemittelt und wir möchten ihn nicht mehr an unserer Schule unterrichten. Bitte tun Sie dieses selbst.“
 Edison weinte daraufhin sehr lange und schrieb in sein Tagebuch: „Thomas Alva Edison war ein geistig unterbemitteltes Kind und wurde durch die heldenhafte Tat seiner Mutter zu einem der größten Genies dieses Jahrhunderts.“

Ich bitte alle Menschen, mehr auf ihr eigenes Herz zu hören als auf das, was andere sagen.

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Meine Botschaft für das Jahr 2021

Im Jahr 2020 standen viele Menschen vor großen Herausforderungen. Es gab neue, unbekannte Situationen und es war nötig, dass wir uns immer wieder neu sortierten, orientierten und stabilisierten. Dies wird wahrscheinlich auch noch eine ganze Zeit so weitergehen.

Für mich stand in diesem Jahr 2020 das Thema Nähe und Berührung im Vordergrund. Jeder Mensch hat von Geburt an das Bedürfnis nach Verbundenheit und Geborgenheit – dieses kann besonders gut durch Nähe und Berührung erfüllt werden. Virginia Satir, Familientherapeutin (26.6.1016 – 10.9.1988), sagte einmal:
„Wir brauchen vier Umarmungen am Tag, um zu überleben, acht Umarmungen, um zu leben, und zwölf Umarmungen, um zu wachsen.“
Wo waren diese Umarmungen und Berührungen im Jahr 2020?
Vorgegeben war ABSTAND! Und mir kam es oft so vor, als wenn ich mit den Menschen meiner Umgebung wie auf Schienen mit einen festen Abstand nebeneinander laufen würde. Es kamen mir die parallel laufenden Schienen der Eisenbahn in den Sinn. Zwei Parallelen, die sich aber in der Unendlichkeit schneiden beziehungsweise berühren sollen – so sagen zumindest die Mathematiker.

Bei Paulo Coelho stolperte ich dann über etwas sehr Interessantes:
Eisenbahnschienen haben auf der ganzen Welt einen Abstand von 143,5 Zentimeter oder vier Fuß und achteinhalb Zoll. Warum so ein unsinniges Maß?
“Weil beim Bau der ersten Eisenbahnwagen die gleichen Werkzeuge verwendet wurden wie für den Bau von Kutschen. Aber warum war dies der Abstand der Kutschenräder? Weil die alten Straßen für dieses Maß gebaut waren und nur so der Kutschenverkehr möglich war. Wer aber hat beschlossen, dass Straßen nur mit diesen Maßen gebaut werden durften?
Und da geraten wir plötzlich in eine ferne Vergangenheit: Festgelegt haben das nämlich die Römer, die ersten großen Straßenbauer. Aus welchem Grund? Die Kriegswagen wurden von zwei Pferden gezogen – und stellt man zwei der Rassetiere nebeneinander, die damals benutzt wurden, dann nahmen sie hundertdreiundvierzigeinhalb Zentimeter ein. Und so kommt es, dass der Abstand zwischen den Schienen, die von modernen Hochgeschwindigkeitszügen befahren werden, von den Römern bestimmt wurde.
Als in den USA Einwanderer aus Europa dort Eisenbahnen bauten, fragten sie nicht, ob es besser wäre, die Spurweite zu verändern, sondern bauten nach denselben Vorgaben weiter. Dies hat sogar die Konstruktion der Spaceshuttles beeinflusst. Eigentlich waren die amerikanischen Ingenieure der Meinung, dass die Brennstofftanks breiter sein müssten, aber da diese in Utah gebaut wurden, mussten sie mit der Bahn bis zum Space Center in Florida transportiert werden und hätten, wären sie breiter gewesen, nicht durch die Tunnel gepasst. Schlussfolgerung: Sie mussten sich dem beugen, was die Römer einst als ideales Maß festgelegt hatten.”
(Paulo Coelho)

Und was hat das mit mir, mit meinem Weg, zu tun?
Ich glaube, dass ich häufig auf meinem Wegen alten Normen gehorche. Manche erleichtern mir meinen Weg, manche erschweren ihn. Aber oft bemerke ich nicht einmal, dass das, was ich tue, durch uralte Gesetze beeinflusst wird. Und dementsprechend frage ich nicht, woher diese kommen. Dann laufe ich neben anderen Menschen wie zwei Schienen im festgelegten Abstand und komme nicht auf die Idee, das Gesetz, dass sich Parallelen erst in der Unendlichkeit berühren „dürfen“, zu verändern.

Ich habe mich entschlossen, mich selbst und andere zu berühren, bewusster und lebendiger zu leben und nicht nur auf die Römer zu bauen, sondern mich eher dem „Großen-Ganzen“ zuzuwenden. Dieses geht einher mit der „Stärkung des Vertrauens, in der Welt beheimatet, dort eingebunden und beschützt zu sein.“ Und das ist gleichzeitig ein Weg aus der Angst, die in diesem Jahr wohl allgegenwärtig ist.
Das Zitat stammt aus dem Buch von Gerald Hüther, Wege aus der Angst. Und mit dieser Buchempfehlung möchte ich meine Gedanken für das Neue Jahr 2021 beenden.
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Meine Botschaft für das Jahr 2020
Vom Gewicht des Nichts

“Sag mir, was wiegt eine Schneeflocke”, fragte die Tannenmeise die Wildtaube. 
"Nicht mehr als nichts", gab sie zur Antwort.
“Dann muss ich Dir eine wunderbare Geschichte erzählen”, sagte die Meise. “Ich saß auf dem Ast einer Fichte, dicht am Stamm, als es zu schneien anfing; nicht etwa heftig mit Sturmgebraus, nein, wie im Traum, lautlos und ohne Schwere. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, zählte ich die Schneeflocken, die auf die Zweige und Nadeln meines Astes fielen und darauf hängenblieben. Genau Dreimillionensiebenhunderteinundvierzigtausendneunhundertzweiundfünfzig waren es. Als die dreimillionensiebenhunderteinundvierzig- tausendneunhundertdreiundfünfzigste niederfiel – nicht mehr als Nichts, wie du sagst -, brach der Ast ab.” 
Damit flog die Meise davon. 

Die Taube, seit Noahs Zeiten eine Spezialistin in dieser Frage, sagte zu sich nach kurzem Nachdenken: “Vielleicht fehlt nur eines einzigen Menschen Stimme zum Frieden der Welt.”
aus: “Also sprach der Marabu” von Kurt Kanter

Und vielleicht fehlt genau Deine/Ihre oder meine Stimme,
um etwas Entscheidendes zu verändern.

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Meine Botschaft für das Jahr 2019
Perspektivwechsel

Entwicklungsbegleitung bedeutet Liebe
Nein, die Wahrheit ist
Dass Entwicklungsbegleitung zuallererst Mühe und Arbeit ist
Ich glaube nicht
Dass ich ausreichend Geduld aufbringen kann
Dass ich zu meiner inneren Balance finden kann
Dass ich mich selbst genügend lieben kann
Es ist doch so
Dass die Menschen immer schwieriger werden
Ich weigere mich zu glauben
Dass ich mit meiner Begleitung etwas bewegen kann in dieser Welt
Dass ich die Menschen mit anderen Augen sehen kann
Es ist doch ganz klar
Dass die Liebe auf der Erde fehlt
Ich kann unmöglich glauben
Nichts wird sich verändern
Es wäre gelogen, würde ich sagen:
Mit meiner Entwicklungsbegleitung kommt Liebe auf die Welt!

Und nun lesen Sie den Text von unten nach oben!

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Die Welt

Ein kleiner Junge kam zu seinem Vater und wollte mit ihm spielen. Der aber hatte keine Zeit für den Jungen und auch keine Lust zum Spiel. Also überlegte er, womit er seinen Sohn beschäftigen könnte.
Er fand in einer Zeitschrift eine komplizierte und detailreiche Abbildung der Erde. Dieses Bild riss er aus und zerschnitt es dann in viele kleine Teile. Das gab er dem Jungen und dachte, dass der nun mit diesem schwierigen Puzzle wohl eine ganze Zeit beschäftigt sei.
Der Junge zog sich in eine Ecke zurück und begann mit dem Puzzle. Nach wenigen Minuten kam er zum Vater und zeigte ihm das fertig zusammengesetzte Bild.
Der Vater konnte es kaum glauben und fragte seinen Sohn, wie er das geschafft habe.
Das Kind sagte: „Ach, auf der Rückseite war ein Mensch abgebildet. Den habe ich richtig zusammengesetzt. Und als der Mensch in Ordnung war, war es auch die Welt.“
Quelle unbekannt

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Ab vor die Tür

Ich hatte eine ganz besondere Oma. Sie war nicht meine wirkliche Großmutter, sondern eine Nachbarin, die ich im Alter von 6 Jahren als meine “Oma” auserkoren hatte. Sie war Anfang 60 – für mich als Kind natürlich eine “alte Frau” – und alleinstehend. Inzwischen bin ich selbst 67 Jahre und sehe das selbstverständlich etwas anders.

Aber meine Oma war wirklich besonders. Sie hatte mehrere Tiere: eine Katze, einen Schäferhund, ein Kaninchen und einen Wellensittich. Alle Tiere bewegten sich oft frei in ihrer Wohnung und schienen sich zu vertragen: die Katze jagte den Wellensittich nicht, Hund und Katze verhielten sich nicht so, wie ich es von Hund und Katze gewöhnt war. Meine Oma machte auch sonst noch Dinge, die man von einer Frau damals nicht unbedingt erwartete. Sie hatte damals schon ein Auto und fuhr damit in der “Welt” herum. Außerdem spielte sie leidenschaftlich Karten – sie zockte gerne. Sie schien immer das zu tun, wonach ihr zumute war. Ich wusste zwar damals noch nicht so ganz genau, was sich für eine ältere Frau gehört und was nicht, aber ich spürte, dass sie anders war. Ihr Leben schien immer bunt zu sein und sie hatte viel Spannendes zu erzählen.

Auch mir gegenüber verhielt sich meine Oma anders als ich es von meinen Eltern gewöhnt war. Bei ihr bekam ich soviel Süßigkeiten wie ich wollte, ich musste nichts essen, was mir nicht schmeckte, nur weil es gesund war. Wenn ich bei ihr übernachtete, durfte ich so lange aufbleiben, wie ich wollte. Ich hatte immer das Gefühl, alles tun zu können, was ich wollte. Trotzdem bekam ich alle Konsequenzen meines Handelns liebevoll, aber direkt vermittelt. Wenn mir schlecht war, weil ich zu viel Süßigkeiten gegessen hatte, nahm sie mich in den Arm, tröstete mich, aber erklärte mir, wie mein “Innenleben” funktionierte. Wenn ich morgens nicht aufstehen mochte, weil ich zu spät ins Bett gegangen war, nahm sie mich an der Hand, unterstützte mich beim Waschen und Ankleiden – aber aufstehen musste ich trotzdem. Auf diese Weise lernte ich sehr schnell, mich selbst zu begrenzen und darauf zu achten, was mir gut tat und was nicht.

Sie war für mich da, wenn ich sie brauchte, sie tröstete mich, wenn mir etwas weh tat oder wenn ich traurig war. Sie machte mir keine Vorwürfe, wenn mir ein Missgeschick passiert war. Sie war mir nicht böse, wenn ich etwas verbockt hatte, sondern sie half mir, es wieder auszubügeln.
Sie war einfach die tollste Oma auf der Welt für mich.

Nur eines konnte meine Oma absolut nicht leiden: schlechte Laune. Es war für sie unhöflich, andere Menschen mit der eigenen Unzufriedenheit zu belasten oder diese sogar dafür verantwortlich zu machen. Deshalb war Übellaunigkeit für ein gelingendes Miteinander von Menschen nicht zu akzeptieren. Wenn ich mal quengelte oder maulte, war meine Oma konsequent streng. Sie nahm mich an den Schultern oder im Nacken und schob mich vor die Tür mit den Worten: “Ich glaube, du brauchst mal ein bisschen frische Luft und musst mal etwas draußen spielen. Wenn es dir besser geht, kannst du wieder reinkommen.” Auch an diese Situationen erinnere ich ich gut. Ich stand im ersten Moment sauer und grantig im Freien, trat gegen die Steinchen auf dem Kiesweg, trottete unschlüssig im Garten herum. Aber meist dauerte es nicht lange, bis ich irgendetwas Interessantes in der Natur entdeckte und mich dann neugierig der Erkundung “der Welt” zuwandte, so dass ich schnell vergaß, wie ich eigentlich ins Freie gelangt war.

Diese Haltung meiner Oma – liebevoll, selbst neugierig, selbstverantwortlich – hat mich bis heute geprägt. Ich habe viel Freude am Leben, manchmal schicke ich mich auch selbst vor die Tür, um in der Natur wieder meine Mitte zu finden.
Manchmal denke ich, dass es sicher manchem Menschen gut tun würde, vor die Tür zu gehen und ein wenig zu spielen …
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Das Ganze ist mehr als die Summe der Einzelteile!

Aus einem indischen Märchen, das in vielen verschiedenen Versionen überliefert und weitererzählt wird:

Es waren einmal sechs blinde indische Kinder, die im Schulunterricht einer zweiten Klasse saßen. Auf dem Lehrplan stand Naturkunde und Thema des Tages war der Elefant. Der Lehrer hatte lange überlegt, wie er dieses Lebewesen seinen Schülern am besten nahe bringen könnte. Da in der Blindenschule das Berühren und Betasten neben dem Hören eine große Rolle spielt, entschloss er sich, einen lebenden Elefanten als Lernbeispiel zu nehmen, um die Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen. Er führte sie zu einem Elefanten; jedes Kind hatte Zeit, sich mit ihm zu beschäftigen und den anderen mitzuteilen, mit was, nach ihren bisherigen Erfahrungen, der Elefant vergleichbar wäre.

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Aber was ergibt das zusammen: Eine Schlange und ein welkes Blatt und ein Baum und ein Zweig und eine Höhle und ein hoher Berg?

Der Lehrer war zunächst ratlos, aber dann ließ er den Kindern Zeit und Raum. Die Kinder blieben nicht an einer Stelle, sie bewegten sich und während der gesamten Zeit kommunizierten sie miteinander und mit dem Elefanten, der sich selbst auch bewegte und auf die Bewegungen und Berührungen der Kinder reagierte.
So entstand nach und nach ein (fast) komplettes Bild des Elefanten bei allen Kindern.

In meiner Diagnostik beobachte ich die Menschen in verschiedenen Situationen. Manchmal wende ich auch Tests an, besonders im kognitiven Bereich. Dann bemühe ich mich, im Dialog mit dem Menschen und eventuell anderen beteiligten Personen, ein ganzheitliches Bild zu erstellen.

Hierzu möchte ich Oliver Sacks, einen bekannten US-amerikanischen Neurologen und Schriftsteller zitieren:

“Nach all den Tests war ich immer noch verwirrt. Stephen erschien zugleich sehr behindert und sehr begabt. Waren nun seine Behinderungen und seine Begabungen völlig getrennt oder auf einer tieferen Ebene ineinander verwoben? Gab es Eigenschaften, wie die autistische Detailtreue und Konkretheit, die in manchen Zusammenhängen Begabungen und in anderen Beeinträchtigungen waren? Die Tests riefen auch ein Unbehagen in mir hervor, als hätte ich tagelang versucht, Stephen auf Behinderungen und Begabungen zu reduzieren, ohne ihn als Menschen, als Ganzes zu sehen.”

Letztendlich gilt für mich der Satz von Antoine de Saint-Exupéry: Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.